Bombenabwürfe in den Kantonen in den Kantonen Bern (Riggisberg), Fribourg, Neuenburg und Waad 12. / 13. Juli 1943

© by Patrick Schlenker 2011/2025

 

Etwa 100 Lancaster Bomber überflogen auf dem Weg nach Italien gegen Mitternacht den Westzipfel der Schweiz. Die Schweizer Flab-Abteilungen 10, welche auf dem Col du Marchairuz in der Nähe von Le Brassus stationiert war, nahm die wegen schlechtem Wetter tieffliegenden Bomber unter Feuer und landeten sichtbare Treffer. Die Flab Abt. 10 war direkt dem Kdo. Flieger und Fliegerabwehrtruppen unterstellt und bestand zu dieser Zeit der Batterie 80, 84, 102 und der Scheinwerfer Kp. 150.

In der Folge kam es zu vereinzelten Bombenabwürfen in den Kantonen Bern, Fribourg, Neuenburg und Waad. 2 Lancaster stürzten jedoch in Folge des Flabbeschusses bei Le Bouveret und Sion ab. Beide Besatzungen kamen ums Leben. Siehe auch die Beträge zu den abstürzen der Lancaster Mk.III, ED.531, code PO°T, 467 in Sion >> Beitrag lesen und der Lancaster Mk.I, ED.412, code EM°Q >> Beitrag lesen.

 

Riggisberg Bern

Kurz nach Mitternacht – exakt um 00:42 Uhr – löste sich plötzlich ein einzelnes Flugzeug aus dem Geschwader und begann einen Sinkflug auf das Dorf Riggisberg, ca. 16 Kilometer südlich von Bern. Die Dorfbewohner, die das Geschehen beobachteten, schilderten später, dass der Lärm der Motoren über ihnen zu einem tiefen, unheimlichen Dröhnen anschwoll. Das Flugzeug hatte offenbar Schwierigkeiten, weiter an Höhe zu gewinnen, und versuchte durch das Ausklinken seiner Bombenlast, Gewicht zu reduzieren. Innerhalb weniger Sekunden wurden eine Brisanzbombe, eine Splitterbombe, rund 25 Phosphorbrandbomben und etwa 200 Stabbrandbomben über dem Gebiet abgeworfen. Da in Riggisberg keine Lufzschutzpflicht bestand, wurde auch kein Fiegeralarm gegeben und die Bewohner wurden erst durch den Motorenlärm und die folgenden Explosionen aus dem Schlaf geweckt.

Die erste grosse Explosion ereignete sich südöstlich des Dorfes im Bereich der Moosmatt, wo die Brisanzbombe detonierte. Zeitgleich flammten an zahlreichen Stellen um das Dorf helle Feuer auf – verursacht durch die Stab- und Phosphorbrandbomben. Die Hügelflanke, auf der Kirche, Pfarrhaus und Spital lagen, war übersät mit Feuersäulen. Ein Dorfbewohner verglich das gespenstische Schauspiel später mit einem „Seenachtfest unheimlicher Art“. Die gesamte Umgebung war taghell erleuchtet, und der Kirchturm warf einen scharfen Schatten wie bei Tageslicht.

Binnen weniger Minuten war das Chaos perfekt: Die Sturmglocke begann zu läuten, das Feuerhorn gellte durch die Nacht, und die Menschen rannten panisch umher. Viele glaubten, dass das Bombardement gerade erst begonnen habe. Der Gedanke, dass es sich um ein gezieltes Bombardement handeln könnte, lag nahe, da die Flugzeugstaffeln noch lange Zeit über dem Gebiet kreisten und ihr Motorenlärm an- und abschwoll. In Wirklichkeit handelte es sich jedoch um einen Notabwurf, bei dem das Flugzeug seine Bombenlast loswurde, um die gefährliche Wetterlage zu überwinden.

Mehrere Brandbomben fielen auf zwei Häuser zwischen dem Restaurant Adler und der Post, bei der Hintere Gasse. Beide Häuser brannten nieder, jedoch konnten sich alle Hausbewohner rechtzeitig in Sicherheit bringen. Sie kamen mit dem Schrecken davon. Weitere Brandbomben lösten verschiedene Brände im Ort aus, welche wie im Fall der Gattin des Coiffeurs im Ort. Frau Kaspar sass gerade in ihrer Stube, als sie durch die Explosionen aufgeschreckt wurde und das Zimmer verlassen wollte, als eine Brandbombe durch das Dach ihr zu Füssen fiel. Sie konnte den Brand mit Schutt löschen. Mehrere Personen wurden bei weiteren Löschversuchen verletzt. So versuchte eine Dame, in dessen Schlafzimmer ebenfalls eine Brandbombe einschlug, diese mit Kleidern zuzudecken, um es zu ersticken, was nicht gelang. Erst mit Sand konnte schliesslich auch dieser Brand erstickt werden.

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Einschlagkarte Riggisberg - Quelle Der Bombenabwurf von Riggisberg in der Nacht zum 13. Juli 1943 - Luftschutzverband der Stadt Bern

Frau Frieda Stautermann erlitt eine Kopfverletzung durch einen Bombensplitter, als sie sich auf den Bakoln begab um zu schauen, was draussen los war. Fast sämtliche Fensterscheiben des Dorfes gingen zu Bruch. Zudem wurden viele Dächer durch die Druckwellen abgedeckt. In den folgenden Tagen gingen 146 Schadensmeldungen ein.

Die Reaktion der Dorfbewohner war eine Mischung aus Schock, Angst und Tatkraft. Viele rannten zunächst panisch umher, ohne genau zu wissen, was passiert war und ob weitere Bomben zu erwarten waren. Einige eilten zu den Brandherden, andere suchten Schutz in ihren Häusern. Trotz der allgemeinen Verwirrung gelang es vielen, die wichtigsten Massnahmen zur Brandbekämpfung einzuleiten.

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Der Brisanzbombeneinschlag in der Moosmatt. Photo - Erkennungsdienst der Kant. Polizeidirektion

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Das durch den Brisanzbomben-Einschlag zerstörte Bauernhaus in der Moosmatt. Photo - Erkennungsdienst der Kant. Polizeidirektion

Die Feuerwehr war rasch vor Ort und konnte verhindern, dass sich die Brände weiter ausbreiteten. Besonders in den betroffenen Häusern K. und B. zeigte sich das geistesgegenwärtige Handeln der Bewohner, die mit Sand die Stabbrandbomben löschten. Die Situation beruhigte sich erst gegen Morgen, als sich Vertreter der Behörden, darunter der Regierungspräsident und militärische Experten, ein Bild von den Schäden machten.

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Allemanisches Bauernhaus in Riggisberg nach dem Bombeneinschlag. Photo - W. Nydegger, Bern

Weitere Abwürfe

Weitere Meldungen über Abwürfe gab es auch bei Interlaken, genauer auf der Schynigen Platte. In der Gemeinde Gsteigwiler wurde eine Scheune getroffen, die in der Folge niederbrannte.

Bei Flammat in der Gemeinde Überstorf detonierte eine weitere Luftmine in einem Weizenfeld unweit des Weilers „Am Bergli“. Im Umkreis von 800 Metern wurden die Hochspannungsleitung sowie mehrere Dächer angrenzender Gebäude zum Teil stark beschädigt. Sämtliche Fensterscheiben im Umkreis von 1500 Metern gingen zu Bruch.

In der weiteren Umgebung des bergigen Gebietes wurden ausserdem Unmengen von Flugblättern entdeckt, die in italienischer Sprache verfasst und für das italienische Volk bestimmt waren.

 

Neuenburg:

Um ca. 01:00 Uhr erschütterte eine gewaltige Explosion das Val de Ruz bei Geneveys-sur-Coffrane nahe Neuenburg. Keine 50 Meter neben dem Hof von Albert Nydegger war eine Fliegerbombe, wahrscheinlich eine Luftmine, explodiert. Dabei wurde der Hof in Mitleidenschaft gezogen – Schäden gab es am Dach, an Fenstern und Türen. Im besagten Waldstück wurden Hunderte von Tannen entwurzelt. Weitere Meldungen aus diesem Gebiet kamen aus Henniez, Surpierre und Gstaad.


Fribourg:

In Praratoud, in der Gemeinde Surpierre, rund 3 Kilometer von Lucens entfernt, wurde von vier HE-Bomben getroffen, die in einen Weiler fielen. Glücklicherweise waren es allesamt Blindgänger. Der Polizist Ganther sicherte die Bomben durch das Einsetzen von Sicherungsstiften. Bald ging in der Region das Gerücht um, dass die Bomben von einer der abgestürzten Lancaster-Maschinen stammten.


Lausanne:

Bei Savigny und Forel, östlich von Lausanne, erschütterte zwischen 00:20 und 00:45 eine ganze Reihe von Explosionen die Region. Häuser wurden nicht beschädigt, jedoch entstanden auf den Feldern grosse Einschlagtrichter. Auch hier war zudem eine grössere Menge an Brandbomben im selben Gebiet niedergegangen. Augenzeugen berichteten, dass der Bomber „ungewöhnlich tief“ geflogen sei. Mit grosser Wahrscheinlichkeit handelte es sich um die Lancaster Mk.I, ED.412, Code EM°Q, der 207 Squadron, welche kurze Zeit später bei Le Bouveret abstürzte.

 

Wallis:

Bei Hérémence, einer kleinen Ortschaft zwischen Visp und Martigny, explodierte eine weitere Luftmine, die ebenfalls einen Krater von 5 Metern Tiefe und 15 Metern Breite in den Boden riss und in weitem Umkreis alle Alpenrosen niedermähte.