Bombenabwürfe bei Diessenhofen, Langwiesen und bei Ryburg - 18. / 19. August 1940
© by Patrick Schlenker
Am 19. August 1940 um 09:55 Uhr erhielt Oberstleutnant Eradolfer, Leiter des Dienstkreises für Munition in der Kriegstechnischen Abteilung, eine dringliche Meldung von der Nachrichtensektion des Armeekommandos. Diese besagte, dass in der vergangenen Nacht fremde Fliegerbomben in der Region um Emmishofen, Langwiesen und Schlatt abgeworfen worden seien. Die Armeeführung forderte eine genaue Untersuchung der Bomben und insbesondere der Frage nach ihrer Herkunft. Der Unterzeichnete begab sich sofort, in Begleitung von Herrn Hauptmann Oberholzer, Ingenieur der Kriegstechnischen Abteilung (K.T.A.), zu den angegebenen Orten, um die Sachlage persönlich zu klären und Beweise zu sichern.
Folgendes wurde vor Ort festgestellt:
1. Zwischen Langwiesen und Schlatt (Kohlfirstwald)
In einem Waldgebiet südlich des Dorfs Paradies, zwischen Langwiesen und Schlatt (genauer im Kohlfirstwald, etwa 800 Meter südwestlich von Paradies), wurden zwei Bomben abgeworfen. Die Bomben trafen auf einen Waldweg und verursachten leichte Flurschäden. Nach Informationen von Herrn Hauptmann Saxer, Kommandant der Sicherungskompanie 1/7, kreiste ein einzelnes Flugzeug, vermutlich ein Bomber, über diesem Gebiet in sehr niedriger Höhe, und zwar über einen Zeitraum von etwa einer Stunde. Die Maschine war ab etwa 23:45 Uhr in der Region und warf die beiden Bomben zwischen 00:40 und 00:45 Uhr ab. Obwohl die Silhouette des Bombers gut erkennbar war, konnten die Hoheitsabzeichen nicht identifiziert werden.
Die Einschläge der Bomben verursachten Trichter mit Durchmessern von 4 und 5 Metern sowie Tiefen von 0,7 und 1 Meter. Durch die Untersuchung der aufgefundenen Splitter konnte mit hoher Sicherheit festgestellt werden, dass es sich bei beiden Bomben um Brisanzbomben englischer Herkunft handelte. Beide Bomben wogen wahrscheinlich etwa 250 Pfund, was auf die typische Grösse englischer Fliegerbomben dieser Art schliessen lässt.
2. Bombenabwürfe bei Diessenhofen
In der Nähe von Diessenhofen wurden weitere Aktivitäten eines Bombers registriert. Hauptmann Wydler, Kommandant der Sicherungskompanie 111/7, berichtete, dass gegen 23:30 Uhr lauter Motorenlärm aus grösserer Höhe zu hören war. Zwischen Mitternacht und etwa 01:00 Uhr kreiste der Bomber dann in geringer Höhe über den Ortschaften Gailingen und Diessenhofen, vermutlich um sich zu orientieren. Während dieser Zeit wurden mehrere Leuchtbomben mit Fallschirmen abgeworfen, um die Region auszuleuchten.
Etwa um 00:55 Uhr liess das Flugzeug schliesslich drei Bomben auf schweizerisches Gebiet fallen, ca. einen Kilometer südöstlich von Diessenhofen, zwischen der Bahnlinie und der Strasse Diessenhofen-Rheinklingen. Eine dieser Bomben schlug in die südliche Böschung der leicht eingeschnittenen Bahnlinie ein, etwa 9 Meter von der Mitte des Bahngleises entfernt. Der Einschlag verursachte einen Krater von 6,6 Metern Durchmesser und 1,45 Metern Tiefe. Das Bahngleis wurde dabei leicht mit Erde überschüttet, jedoch entstand kein nennenswerter Schaden, und der Zugverkehr konnte ohne Unterbrechung fortgeführt werden.
Abgesehen vom Flurschaden beschädigte die Explosion die Telegrafenleitung der Bahn leicht. Diese Bombe detonierte jedoch erst um 05:10 Uhr, also über vier Stunden nach dem Aufprall, was auf einen Verzögerungszünder hinweist. Die beiden anderen Bomben landeten jeweils etwa 200 Meter nordöstlich auf Wiesengelände. Die Krater dieser beiden Bomben hatten Durchmesser von 6,6 und 5,3 Metern und Tiefen von 1,7 bzw. 1,3 Metern. Sie explodierten beim Aufschlag mit einer Verzögerung von geschätzt 1/10 bis 2/10 Sekunden.
Zusätzlich zu den drei abgeworfenen Sprengbomben wurde in der Nähe auch eine englische Leuchtbombe mit Fallschirm gefunden. Der Durchmesser des Fallschirms betrug 11 Fuss (etwa 3,35 Meter). Alle Bomben in dieser Region, inklusive der Leuchtbombe, wurden sicher als englischer Herkunft identifiziert. Wie in Langwiesen handelte es sich auch hier vermutlich um 250-Pfund-Sprengbomben. In der benachbarten deutschen Region Gailingen sollen insgesamt 13 Sprengbomben und mehrere Leuchtbomben abgeworfen worden sein. Eine dieser Bomben detonierte Berichten zufolge erst 11 Stunden nach dem Aufprall.
3. Emmishofen
In Emmishofen ergaben die Untersuchungen keine Hinweise auf abgeworfene Bomben in unmittelbarer Nähe. Der Unterzeichnete befragte dazu den Postenchef der Grenzwachkaserne und die dort stationierten Grenzwächter. Laut den erhaltenen Informationen wurden in der Nacht vom 18. auf den 19. August keine Bomben in diesem Gebiet abgeworfen. Es wurden jedoch nach Mitternacht vier bis sechs Flugzeuge in grösserer Höhe über dem Gebiet beobachtet, die in der Region kreisten.
4. Blindgänger bei Ryburg
In Ryburg führte der Chef des Offizierspostens am Kraftwerk Ryburg-Schwörstadt den Unterzeichneten zur Einschlagstelle eines Blindgängers. Im Wald etwa 500 Meter südwestlich des Kraftwerks fanden wir eine halb im Boden steckende Leuchtbombe mit Fallschirm. Auch hier handelte es sich um eine englische Leuchtbomben-Type mit einem Fallschirmdurchmesser von 11 Fuss, wie die bereits bei Diessenhofen gefundene Leuchtbombe.
Nach Berichten war die Gegend um Mitternacht von drei Flugzeugen überflogen worden, offenbar mit dem Ziel, das Aluminiumwerk in badisch Rheinfelden zu bombardieren. Ein Flugzeug kreiste länger über der Gegend, bevor mehrere Bomben abgeworfen wurden. Einige dieser Bomben schlugen im Werksgelände ein und verursachten Brände. Eine weitere Bombe fiel in den Rhein und detonierte etwa eineinhalb Stunden später. Ein Splitter, der von dieser Bombe stammen soll, wurde von Oberstleutnant Cappis, dem Kommandanten des Grenzwachtregiments 47, weitergeleitet.
Die Untersuchungsergebnisse legen nahe, dass die Bombenabwürfe in der Nacht vom 18. auf den 19. August 1940 primär auf deutsche Ziele abzielten, insbesondere auf industrielle Anlagen im badischen Raum. Dies könnte darauf hindeuten, dass die Angreifer beabsichtigten, die Produktionsanlagen der Aluminiumwerke in Rheinfelden zu zerstören oder zumindest deren Betrieb erheblich zu stören.
Die Bomben auf schweizerischem Gebiet scheinen nicht gezielt gegen die Schweiz gerichtet gewesen zu sein, sondern möglicherweise auf Grund von Navigationsfehlern oder aus taktischen Gründen abgeworfen worden zu sein. Alle gefundenen Bomben und Leuchtbomben wurden als sicher englischer Herkunft identifiziert. Die festgestellten Schäden beschränkten sich auf Flurschäden und kleinere infrastrukturelle Beschädigungen, insbesondere an der Bahnlinie bei Diessenhofen, die jedoch den Bahnbetrieb nicht beeinträchtigten.
Die Bombardierung in dieser Nacht zeigt die komplexe Gefahrenlage, die durch die Nähe zur deutschen Grenze und die damit verbundenen militärischen Aktivitäten für die Schweiz entstand. Die Untersuchungsergebnisse wurden der Armeeführung übermittelt, um die Sicherheitsvorkehrungen zu bewerten und mögliche Schutzmassnahmen zu verbessern.