15. April 1943 00:43 / Birmenstorf

© by Patrick Schlenker 2011/2020

 

Wellington X HE.374, code SE°X, 431 Squadron

 

Pilot: Sgt James Victor Avery am 2. März 1944 bei einem Flugunfall ums Leben gekommen

Navigator: Sgt William Harlold Shields gefallen am 24. März 1944

Air Bomber: Sgt Wilfred Boddy 

Wireless Oprtr: Sgt Joseph Cash 

Rear Gunner: Sgt Ronald McEwan gefallen am  29. Juni 1944

 

Gedenkstein Crew

Die Crew der Wellington X HE.374, code SE°X, 431 Squadron kurz nach ihrer Internierung in der Schweiz.


Wie fast jede Nacht, starteten auch am Abend des 14. April 1943 Bomber des Bomber Command von verschiedenen Flugplätzen in England auf. Eine Gruppe aus insgesamt 462 britischen Bomber hatte das Ziel Bad Cannstatt - Münster - Mühlhausen. Zum Einsatz kamen 3 Typen an schweren viermotorigen Bombern. 83 Stirlings , 98 Lancasters, 135 Halifaxes. Dazu kamen 146 mittelschwere, zweimotorige Vickers Wellington Bomber. 

Die zwölf Besatzungen der 431 Squadron der Royal Canadian Air Force (Iroquois),  mit ihren Wellington Mk. X starteten um 21:08 zu ihrem sieben stündigem Flug (hin und zurück) von ihrem Stützpunkt in Burn bei Selby in Yorkshire, Nordengland. Über dem Ziel sollte das Geschader etwa zwischen 00:42 bis 01:52 sein.

Vickers Wellington

Die Vickers Wellington war ein zweimotoriger Bomber des Herstellers Vickers-Armstrongs. Zwischen 1936 und 1945 wurden 11'461 Bomber unterschiedlicher Versionen, und somit wie kein anderes in dieser hohen Anzahl gebaut. Die Wellington wurde in bei den drei Vickers-Werken Weybridge, Chester und Blackpool gebaut. Den Spitzname „Wimpy“ erhielt er mit dem Bezug auf der Zeichentrickfigur Popeye's Freund mit Namen J. Wellington Wimpy.


Stuttgarts Industriegebiete zählten zu den am besten verteidigten und befestigten Abwehranlagen im ganzen Deutschen Reich. Schon acht Mal griff das Bomber Command Stuttgart an, um die Kugellagerfabriken und Boschs Magnet-Anlagen zu zerstören. Die Angriffe waren bis dahin aus unterschiedlichen Gründen ineffizient. Zum Teil wegen schlechtem Wetter, zum anderen wegen der ungenügenden Nachtnavigation der Crews oder weil die Deutschen falsche Zielmarkierungen auf Feldern entzündet hatten, um vom Ziel abzulenken.

An diesem 14. April 1943 versuchte die RAF eine neue Taktik. Fünf Senior Pathfinder sollten unter Mithilfe des H2S Radars ihre Markierungen „Blind“ abwerfen. Diese sollten den folgenden Pathfindern, und vor allem den restlichen Bombern helfen, ihr Ziel zu finden. Jedoch vielen auch diese roten Markierer rund 3 Kilometer nord-östlich des Zielgebietes in die Aussenbezirke von Stuttgart.
Zu dieser Zeit flogen die Bomberbesatzungen auf ihrer Route über Belgien und der Eifel Richtung Stuttgart. Der Rückflug sollte die Bomber danach über Nancy und Reims führen.

Avery und seiner Crew erlebten ihre Feuertaufe 29./30. März 1943 bei einem Wellington Angriff auf Bochum im Ruhrgebiet, wobei er seinen Bomber mit einem vereisten Steuerbordmotor bei Oulton bei Leeds landen musste. Weiter Operationen folgten. Unter anderem am 8. / 9. April auf Duisburg. Zudem wurde ihr Geschwader am 11./12. April 1943 dazu eingesetzt, Minen in von den Deutschen kontrollierte Gewässer abzuwerfen.

Auf der Höhe von Speyer machte sich Bomb Aimer Boddy bereit. Der Rhein war bei dieser klaren Nacht gut zu erkennen. Zwischen Karlsruhe und Heidelberg erkannte Avery vor sich gelbe Zielmarkierungen. Wie schon bei vergangenen Angriffen zuvor, versuchten die Deutschen die Bomber dazu zu bewegen, ihre Bombenlast auf dieses Gebiet abzuwerfen.
Plötzlich tauchten zwei Ju 88 Nachtjäger links und Rechts hinter Avery’s Wellington auf. Mit einem Korkenzieher-Manöver konnte er die Wellington aus der Schussbahn nehmen. Rear Gunner Mc Ewan hatte bei seiner Salve auf die Angreifer einen der beiden Ju 88 getroffen. Er konnte klar erkennen, wie einer der angreifenden Ju 88 mit rauchendem Treibwerk abdrehte. Aber auch die Wellington wurde getroffen. Die Steuerklappe des Steuerbordflügels reagiert nur noch sehr träge. Weiter musste Avery versuchen wieder Anschluss zu den anderen Bombern zu finden. Durch das Manöver war er vom Kurs abgekommen.

Kurz vor Stuttgart hatte die SE°X wieder Anschluss und man bereitete sich für den Bombenabwurf vor. Der Flakbeschuss der Deutschen Verteidiger in und um Stuttgart wurde immer heftiger, als plötzlich eine fürchterliche Erschütterung durch die Wellington fuhr. Ein Geschoss war knapp unter dem Bomber explodiert. Sofort viel die Drehzahl des Backbord Bristol Hercules Motors. Zu allem Überfluss vielen zeitgleich in Avery’s Cockpit  fast sämtliche Instrumente aus

Die Wellington fing an zu trudeln und Avery musste in der Folge alle Kraft aufbringen, um die Maschine wieder unter Kontrolle zu bekommen. Die Flakgranaten explodierten immer noch um die stark angeschlagene Maschine und Avery entlud als weitere Notmassnahme seine Bombenlast von zwei 500 Pfund Bomben Kanister mit Brandbomben. Die Besatzung war umgeben von einer unwirklich wirkenden Umgebung. Weisse Wolken der Flakgaranten wurden durchschnitten von dem Schein der Suchscheinwerfer. Unter ihnen war ein Meer von roten, orangen und gelben Farben. Über ihnen konnten sie den Schatten anderer Maschinen erkennen.

Obschon die Maschine wieder unter Kontrolle war, hatte Avery doch alle Mühe die Maschine auf Kurs zu halten. Der vor dem Bombenabwurf geöffnete Bombenschacht musste wegen eines weiteren Defektes mit der Handkurbel geschlossen werden. Das Beschädigte Triebwerk auf Backbordseite lief immer unruhiger und hatte kaum noch Leistung. Bei einer weiteren Inspektion der Schäden stellte die Besatzung zudem fest, dass einer der Treibstofftanks im Backbordflügel beschädigt wurde. Der auslaufende Treibstoff tränkte nach und nach den Flügel. Avery war klar, dass sie so nicht mehr bis nach England kommen würden.

Pilot Avery und Navigator Shields versuchten zusammen herauszufinden, wo sie etwa waren. Ihnen war klar, es gab nur eine Chance. Sie mussten es bis in die Schweiz schaffen. Um 00:24 konnten sie unter sich den Bodensee erkennen und kurz danach, am Ende des glitzernden Sees in schwarz die Landmasse der neutralen Schweiz. Die, unterdessen nur noch mit einem Motor fliegende Wellington verlor immer mehr an Höhe. Auch der zweite Motor konnte bald die Mehrleistung, die diese bringen musste, nicht mehr bewerkstelligen. Knapp an der Grenze fliegend, flog Avery über Schaffhausen, Zurzach und Laufenburg, bevor er seinen Kurs Richtung Zürich änderte.

Wellington X HE.374, code SE°X, 431 Squadron_1

Schaulustige am Tag nach dem Absturz an der Absturzstelle in Birmenstorf. Foto ZVG Max Rudolf

Mit Leuchtkugeln versuchte die Crew in der Folge einen geeigneten Landeplatz zu finden. Kurz danach flogen sie über Wettingen und weiter Richtung Baden. Nun sprang einer nach der anderen aus der Wellington ab. In einer Höhe von ca. 1500-1800 Meter sprangen nacheinander Mc Ewan, Boddy, Shields und Cash aus der nun brennenden Maschine ab. Avery blieb noch so lange wie möglich auf seinem Platz und flog die Maschine noch über die Häuser von Baden hinweg. Das Feuer hatte schon den Rumpf des Flugzeuges erreicht, als Avery auch noch absprang. Er landete auf einem Dach einer Ziegelei in einem Wald bei Meierhof. Auch die anderen Besatzungsmitglieder kamen mehr oder weniger unverletzt zu Boden. Cash hatte sich leicht am Fuss verletzt, als er auf einem Felsen gelandet war.

Der führerlose Bomber flog noch eine kurze Zeit weiter, bevor dieser auf ein Feld bei Birmenstorf stürzte und ausbrannte. Die Crew wurde in der Folge interniert und am 17. Juni der englischen Gesandtschaft in Bern übergeben, um ihnen die Rückkehr nach England zu ermöglichen.

Trümmerteile

Trümmer Wellington X HE.374, code SE°X, 431 Squadron_1  Trümmer Wellington X HE.374, code SE°X, 431 Squadron_1

Im Sommer 2018 kam bei Aufräumarbeiten einer Familie ein Lauf Cal. 50 Browning MG's zum Vorschein der gemäss Sohn des ehemaligen Hausbesitzers diesen noch während des Krieges auf einem Acker unweit des Flufplatzes Birrfeld bei Arbeiten entdeckte. Es ist anzunehmen, dass das MG nach dem Absturz von einem Anwohner behalten wurde und später zerlegt an verschiedenen Orten vergraben wurde. Der Lauf besitzt eine A.M. Mrkierung (Air Ministry) und eine von Hand eingeschlagene Inschrift, wahrscheinlich des Mechanikers.

Weitere Trümmerteile der Wellington X HE.374 sind bei der Gemeinde eingelagert und werden ab und zu ausgestellt. 

Trümmer Birmensdorf_1Trümmer Birmensdorf_13

 

Fahrgestelltsäule

Trümmer Birmensdorf_10Trümmer Birmensdorf_3Trümmer Birmensdorf_4Trümmer Birmensdorf_5

Trümmer Birmensdorf_6Trümmer Birmensdorf_7Trümmer Birmensdorf_8Trümmer Birmensdorf_9

Sternmotorzylinder

Trümmer Birmensdorf_11Trümmer Birmensdorf_12image.jpeg

Sternmotorzylinder - Munitionsgurt 

Trümmer Birmensdorf_14

Trümmerteile

Fotos zVg Gemeinde Birmenstorf

Opfer

Beim Angriff auf die nördliche Region von Stuttgart verloren über 619 Menschen ihr Leben und 705 wurden verletzt. Unglücklicherweise starben auch 434 französische und russische Kriegsgefangene im Kriegsgefangenenlager Gaisburg. Das Lager wurde urpsrünglich schon 1934 von der Stadtverwaltung Stuttgart für Arbeitslose und politisch unliebsame Personen eingerichtet. Die Kriegsgefangenen wurden zur Zwangsarbeit Kraftwerk Münster, im Klärwerk, sowie im Strassen- und Bunkerbau, aber auch in Krankenhäusern und Betrieben eingesetzt. Insegamt wurden beim Angriff 393 Gebäude zerstört und somt ein grossteil der historischen Gebäude in den Ortsteilen.

23 britische Bomber wurden beim Angriff in dieser Nacht auf Stuttgart abgeschossen und gingen verloren. Die Wellington X HE.374, code SE°X, 431 Squadron war die erste in der Schweiz verloren gegangene Maschine der Royal Air Force.

Austausch

Am 17. Juni 1943 wurde die Besatzung der Britischen Botschaft übergeben Tags darauf wurden sie zusammen mit der Besatzung des am 19. März 1943 in Samedan gelandet beiden Fieseler Storch, die am 19. März 1943 in Rahmen eines Gefangenenausstausches ausgeliefert und somit die Rückkehr nach England gewährt. Alle Fünf Besatzungsmitglieder fogen in Folge weiterhin Einsätze für die RAAF mit unterschiedlichem Ausgang.


Pilot Sgt James Victor AveryAvery stürzte am 1. März 1944 während eines Instruktionsfluges der OTU Operational Training Unit, infolge eines kompletten Elektrik-Ausfalles einer Wellington auf ein Feld in bei Harwell. Er fand auf dem NORTON (ST. MARY) CHURCHYARD, TEESIDE, Durham seine letzte Ruhe.

Navigator Sgt William Harold Shields:

Shiels fiel 3 Wochen nach Avery, am 24. März 1944 während eines Angriffs auf Berlin. Die Halifax der 78 Squandron war in England abgestürzt. Shields wurde auf dem CAMBRIDGE CITY CEMETERY beerdigt. 

Wireless Oprtr. Sgt Joseph Cash: Flog weitere Operationen. Er verlies die RAF im November 1945

Rear Gunner Sgt Ronald McEwan: McEwan kam am 29. Juni 1944 be einem Einsatz über Frankreich ums Leben und wurde auf dem CREIL COMMUNAL CEMETERY beigesetzt.

Air Bomber Sgt Wilfried Boddy: Flog weitere Operationen. Er verlies die RAF im Februar 1946

 

Denkmal

50 Jahre nach dem Absturz, am 15. April 1993 wurde in der Gemeinde Birmenstorf ein Gedenkstein aufgestellt, welcher an diese Nacht erinnern soll. In den Jahren 2013 und 2018 wurde im Auftrag der Gemeinde Birmenstorf und Zusammenarbeit mit unserer Gruppe dem Absturz weitere male gedacht.  Beitrag >>

Denkmal Wellington X HE.374, code SE°X, 431 Squadron

Presseberichte vom April 1943:

Zeitungen_1 Zeitungen_3 Zeitungen_4 Zeitungen_5

                                               Zeitungen_2 Zeitungen_6

 

Quellen:

Infringing Neutrality: The RAF in Switzerland 1940-1945 Roger Antoine
Fremde Flugzeuge in der Schweiz

- Gefallen

↔ - Im Rahmen eines Kriegsgefangenenaustausches  zurück nach England

∏ - In der Schweiz interniert