15. März 1944 23:30 / Golaten
© by Patrick Schlenker 2013 / 2024
Lancaster Mk.I, W.4355, code LS°A, XV Squadron
Pilot: F/Lt Walter Blott ↔
Flight Engineer: Sgt G. Mattock ∏
Navigator: P/O Cedric Nabarro ∏
Bomb Aimer: W/O John Millard ∏ (am 22.12.44 geflohen)
Wireless Oprtr: Sgt Gordon Gill ↔
Mid-upper Gunner: Sgt William Forster ∏
Rear Gunner: Sgt Denis Murphy ∏
F/Lt Walter Blott's Lancaster, welcher zusammen mit weiteren 16 Lancaster der XV Squadron um 1915 in Mildenhall, zwischen Cambridge und Thetford in der Grafschaft Suffolk gestartet waren, benötiget etwas mehr als 2 Stunden, um zu den drei weissen Bodenmarkierungen in der Nähe von Vesoul, Département Haute-Saône zu gelangen, die von Pfadfindern gesetzt wurden, um den Wendepunkt nach Osten anzuzeigen. Bei der Besprechung um 1630 war den Navigatoren die Anweisung gegeben worden, nicht über die Punkte hinauszufliegen, um zwischen Strassburg und Basel den Rhein zu überqueren und nach Deutschland einzudringen und so nicht in die Schweiz einzufliegen.
Die Crew der Lancaster Mk.I, W.4355 gehörte zu einem Bomberverband von 617 Lancaster-Bomber und 230 Halifax-Bomber, welche u.a. Stuttgart bombarderen sollten.
Flugplan mit den Markierungspunkten der Operation gegen Stuttgart vom 15. März 1944 von Navigator Edward King der 15 Squadron - Quelle Int. Bomber Command Centre
Der Angriff auf ihre Lancaster erfolgte ohne Vorwarnung im Raum südöstlich von Belfort. Im letzten Moment sah der Ingenieur, der im Astrodome Wache hielt – Sgt G Mattock, ein 22-jähriger verheirateter ehemaliger Schweisser aus Winchester, einen anfliegenden Feind. Der Nachtjäger Bf 110 G-4 G9+BC war unbemerkt von hinten unten angeflogen und hatte das Feuer eröffnet. Pilotiert wurde die Bf110 von Hauptmann Eckart-Wilhelm von Bonin vom Stab II./NJG 1, welcher vom Flugplatz Saint-Dizier in Haute-Marne, Frankreich gestartet war. Von Bonin's Bf 110 war mit schräger Musik oder auch bekannt als schräge Nachtmusik ausgerütstet. Dabei wurden Maschinengewehre oder Maschinenkanonen schräg nach oben vorne in Nachtjäger eingebaut. Die "schräge Musik" zielte darauf ab, britische Nachtbomber abzuschiessen, die keine Waffen nach unten hatten. Von Bonin war kein unbekannter, er war in den "Wheels Down“-Vorfall mit der USAAF B-17 "Picklepuss" am 17. August beteiligt während der Operation "Double Strike". Hauptmann Eckart-Wilhelm von Bonin hatte in der selben ncht zuvor schon im Raum Saint-Dizier eine andere Lancaster abgeschossen.
Das auf die Lancaster abgegebene Kanonenfeuer der Bf 110 durchlöcherte den Backbordflügel, zerstörte den linken inneren Merlin-Motor, machte die Gegensprechanlage und das Panel unbrauchbar. Glasscherben, Öl, Rauch und Benzin drangen ins Cockpit. F/Lt Walter Blott verspürte einen schweren Schlag am linken Ellenbogen; Ein Metallsplitter hatte ihn getroffen und den Arm verletzt. Gleichzeitig begann das Flugzeug unter starken Vibrationen zu zittern. Aufgrund der dichten Rauchentwicklung konnte F/Lt Walter Blott die ohnehin zerschlagenen Instrumententafel nicht mehr sehen.
Kurze Zeit später waren über der Gegend um Laupen, Kanton Bern, über längere Zeit die Motoren eines grossen viermotorigen Bombers zu vernehmen, welcher auf der Suche nach einem geeigneten Landeplatz in diesem Gebiet war. Da kein Landeplatz gefunden werden konnte, sprangen die Besatzungsmitglieder allesamt aus der beschädigten Lancaster ab. Der führerlose Bomber stürzte kurz Zeit später bei Golaten in eine Reihe von Obstbäumen, keine 50 Meter neben einem Bauernhaus.
1 - Der Führerlose Bomber streifte die Bäume zwischen der Aare und der Ortschaft Golaten. 2 - Absturzstelle der Lancaster Mk.I, W.4355. Die Trümmer flogen bis 50 Meter vor die Bauernhäuser und blieben zwischen Obstbäumen liegen.
Am Morgen des 16. März 1944 - Trümmer der zerstörten Lancaster Mk.I, W.4355. Fotos koloriert von Patrick Schlenker 2024
F/Lt Walter Blott nach der Landung am Waldrand, ausserhalb von Kallnach - nachgestellte Szene am Originalschauplatz
Gegen Mitternacht klopfte F/Lt Walter Blott an die Tür der Familie Mori-Hurni am Buttenrain in Kallnach und vergewisserte sich zuerst, dass er sich in der Schweiz befand. Er war mit seinem Fallschirm am Buttenweg gelandet.
Buttenrain 10 in Kallnach - nachgestellte Szene am Originalschauplatz
Um F/Lt Walter Blott medizinisch zu versorgen brachte Herr Mori in die Wirtschaft Häberli (Mitteldorf 16, 3283 Kallnach), vis-a-vis vom heutigem Restaurant Weisses Kreuz. Dort stelle man ihm für die Nacht auch ein Bett zur Verfügung.
Ehemalige Wirtschaft Häberli - Heute sind Wohnungen inder ehemaligen Wirtschaft untergebracht
Nach dem Frühstück am nächsten Morgen wurde er von der Schweizer Militärpolizei aufgesucht, die ihm mitteilte, dass sie später am Tag zurückkehren würden, nachdem sie die anderen Besatzungsmitglieder abgeholt hätten. Drei seiner Besatzung wurden ebenfalls im Raum Kallnach aufgefunden. Zwei von ihnen waren verletzt. Flying Officer C. Nabarro hatte sich ein Bein gebrochen, als er mit nicht komplett geööfnete Fallschrim auf dem Acker aufschlug. Sergeant D. Murphy wies eine Schussverletzung auf. Ein weiterer wurde bei Ridau aufgegriffen. Als die Militärpolizei F/Lt Walter Blott später am Tag mit einem Auto abholten, sass bereits Sgt Gordon Gill auf dem Rücksitz. Im Bezirks-Spital Aarberg trafen sie in der Folge auf Sergeant D. Murphy und Flying Officer C. Nabarro.
Bezirks-Spital Aarberg 1944
F/Lt Walter Blott wurde zur Untersuchung seines Rückens und Arms hospitalisiert. Nach dem Besuch von Wing Commander RD Jones, stellvertretender Luftattaché der britischen Gesandtschaft in der Schweiz, wurde F/Lt Walter Blott in das Gurten Kulm Hotel bei Köniz gebracht, welches zu dieser Zeit hauptsächlich von internierten amerikanischen Flugbesatzungen bewohnt war.
Ein paar Tage später trafen im selben Hotel auch Sgt Gordon Gill und zwei weitere Mitglieder seiner Crew, Sergeant GR Mattock und Sergeant TW Forster ein. Zur Crew stiess zusätzlich Sgt Kenneth Reece, der einzige Überlebende der Lancaster Mk.III, JB.474, code DX°F, 57 Squadron, welche in der selben Nacht bei Saignelégier abgestürzt war.
Hotel Gurten Kulm 1945
Nach etwa drei Wochen im Hotel Gurten Kulm wurden die RAF-Flieger und die Amerikaner nach Adelboden verlegt. Am 6. Mai wurde F/Lt Walter Blott nach Bern gebracht und erhielt einen neuen Pass und Zivilkleidung, bevor er im Austausch mit deutschen Piloten nach England zurückgeführt werden konnte. In den frühen Morgenstunden des 13. Mai wurden er mit sechs weiteren Mitgliedern der RAF (Flying Officer Nabarro, Sergeant Murphy, Sergeant Forster, Sergeant Mattlock, Wing Commander Jones, Sergeant Ruth, Petty Officer Smith, Flying Officer Medcalfe), sowie Sgt Gordon Gill und W/O Robert Peter der Lancaster Mk. III, ND.759, code TL°R, 35 PPF Squadron, welche bei Steckborn auf dem Bodensee notlandete, von einem Schweizer Kurier und einem Schweizer Militärpolizisten nach Basel eskortiert.
Die neun Flieger und der Kurier reisten in der zweiten Klasse und verliessen die Schweiz mit der Bahn. Als sie die Grenze nach Deutschland überquerten, wurden sie aufgefordert, die Jalousien herunterzulassen. An der ersten Station nach der Grenze bestieg ein deutscher Offizier in Begleitung eines Dolmetschers den Waggon. Es wurde ihnen mitgeteilt, dass sie eine sichere Passage erhalten würden und von ihnen erwartet würde, dass sie sich gut benehmen würden. Über Freiburg gelangten sie nach Baden-Baden und bestiegen nach einem kurzen Zwischenstopp am späten 13. Mai den Wien-Paris-Express, in dem sie erste Klasse reisten konnten. In Paris wurden sie von einem deutschen Offizier und einem Zivildolmetscher empfangen, der ihnen erzählte, dass er an der Universität Cambridge gewesen sei und dass er am Vortag mit dem berühmten Autor PG Wodehouse zu Mittag gegessen habe. Er sagte der Gruppe auch, wahrscheinlich nur um zu sehen, welche Auswirkungen dies haben würde, dass sie nicht nach England, sondern nach Japan zurückgebracht würden. F/Lt Walter Blott sagte ihm, dass das egal sei, da sie sowieso irgendwann dort landen würden. Anschliessend wurden die Flieger mit einem hervorragenden Fünf-Gänge-Mittagessen verwöhnt.
Records der 15 Squdron vom 15. März 1944 mit der Lancaster Mk.I, W.4355 und den im Laufe der folgenden Tagen eingetroffenen Infos, dass die vermissten Besatzungsmitglieder in der Schweiz interniert wurden. Quelle www.nationalarchives.gov.uk
Bombennacht in Stuttgart:
Durch Abwehrmassnahmen der Deutschen Verteidiger und Abweichungen vom eigentlichen Zielgebiet Stuttgart bei den Bombenangriffen am 2. März 1944, liess sich beim schweren Hauptangriff vom 15. bis 16. März 1944 ein taktischer Plan nicht ausschliessen. Dies ist insbesondere darauf zurückzuführen, dass zur gleichen Zeit auch die benachbarten Orte Ober- und Unteraichen, Leinfelden, Echterdingen, Musberg, Schönaich und Waldenbuch gezielt bombardiert wurden. Laut den Informationen des damaligen Polizeipräsidiums Stuttgart soll der Abschuss eines sogenannten "Markierers" über Vaihingen dazu beigetragen haben, dass das Zentrum des Angriffs vom Stadtzentrum Stuttgarts nach Südwesten verlagert wurde.
Der Himmel über Stuttgart war stark bewölkt und bis zum Zeitpunkt des Angriffs hatte sich eine geschlossene Wolkendecke gebildet. Um 2310 wurde Fliegeralarm ausgelöst und zeitgleich eröffneten die Flugabwehrkanonen aus dem Flakgürtel um Stuttgart das Feuer. Der Flakgürtel um Stuttgart unterstand der Flakbrigade 20, welche zu dieser Zeit über 15 Schwere Batterien, 7 mittlere/leichte Batterien und 1 Nebelkompanie verfügte. Der Angriff erfolgte um 2310 bis 0013 Uhr. Dabe wurden 88 Menschen getötet und 203 Verwundet.
RAF Verluste:
Die Royal Air Force verlor in der Nacht rund 50 Bomber, davon 29 Lancaster Mk. I und III, 18 Halifax sowie 2 Stirling und eine Mosquito Mk. II.
Wireless Oprtr: Sgt Gordon Gill:
Während wir uns auf die Recherche und die Spurensuche der Ereignisse konzentrierten, erreichte uns eine Kontaktaufnahme von Malvom Gill, dem Sohn des Navigators. Er bot uns grosszügig Informationen und Fotos seines Vaters für unsere Untersuchungen an.
Wireless Oprtr: Sgt Gordon Gill 1943 / 1944 - Fotos freundlicherweise von Malcom Gill zu Verfügung gestellt.
↔ - Im Rahmen eines Kriegsgefangenenaustausches zurück nach England
∏ - In der Schweiz interniert